mit diesem artikel habe ich mich etwas schwer getan und tue das noch. es geht um eines der zentralsten themen der metatheologie überhaupt – um die frage der erkenntnis. von der verwandten definition von „erkennen“ hängt es letztlich ab, ob es hier um erkenntnistheorie im sinne der philosophischen disziplin geht, oder ob methoden der erkenntnistheorie auf die beobachtung theologischer prozesse angewandt werden. um es klar vorwegzunehmen: erkenntnistheorie ist immer irgendwo hier drin, die frage ist nur, ob sie das einzige ist oder ob da mehr ist.

paulus schreibt in seinen briefen so einiges zum thema „erkenntnis“. eine der stellen, die ich am meisten mag ist 1.korinther 8,1-3:
Nun zur Frage des Götzenopferfleisches. Gewiß, wir alle haben Erkenntnis. Doch die Erkenntnis macht aufgeblasen, die Liebe dagegen baut auf. 2 Wenn einer meint, er sei zur Erkenntnis gelangt, hat er noch nicht so erkannt, wie man erkennen muß. 3 Wer aber Gott liebt, der ist von ihm erkannt.“(nach der einheitsübersetzung).
redet paulus von erkennen spricht er im griechischen von ginw,skw. das wort ist schwer in eine definition zu pressen, denn es deckt ein weites feld von übersetzungsmöglichkeiten ab. die spanne reicht von „etwas kapieren oder wahrnehmen“ bis hin zu sexueller beziehung (adam erkannte eva und die wurde schwanger, in LXX ginosko). ich will hier erst einmal nur eine kleine arbeitshypothese der erkenntnis aufstellen. im grunde forsche ich seit jahren an dem wort herum und komme immer wieder zu ähnlichen ergebnissen, aber die sind schwer in worte zu fassen. der übersichtlichkeit halber schreibe ich mal alles in einer liste auf, auch wenn das kein gefälliger schreibstil ist.

    1. erkenntnis ist mehr als wissen:
    es hat mich vor jahren etwas verwirrt, dass ein und dasselbe wort für sex und verstehen gebraucht wird. allerdings habe ich mir ziemlich schnell gedacht, dass erkenntnis einfach ein verstehen ist, das leben hervorbringt. also kein reines verstandeswissen sondern ein wissen, das viel tiefer geht.
    als ich mich zum ersten mal bekehrt habe (ich brauchte zwei anläufe um die sache mit jesus zu verstehen), dachte ich, dass glauben dasselbe wäre, wie etwas für wahr halten. bei der taufe und bei der konfirmation wird man ja auch gefragt: „glaubst du, dass jesus christus der sohn gottes ist?“ und man sagt „ja“, was bedeutet, dass man das für wahr hält. ich habe aber schnell gemerkt, dass dieses blosse verstandeswissen keine(!) auswirkung auf mein leben hat.
    als ich später bei „jugend mit einer mission“ war hat man mir gesagt, dass wissen die weiteste reise der welt zurücklegen muss: vom kopf ins herz. da ist mir klar geworden, etwas mit dem kopf zu verstehen ist zu wenig. deshalb schreibt paulus auch, dass man mit dem herzen glauben muss (römer 10,10). wahre erkenntnis gottes geht also tiefer als in den kopf. sie geht ins herz, sie verändert den menschen von innen heraus und bringt leben hervor.
    eine solche erkenntnis beginnt mit einem für-wahr-halten, einem verstandesmässigen begreifen, aber sie endet dort nicht. davon spricht 1.korinther 8: wer noch denkt etwas verstanden zu haben und nur ein wissen hat, durch das erkannte aber nicht in der liebe gewachsen ist, der hat noch nicht erkannt, wie man erkennen soll (nämlich so, dass nicht das wissen wächst sondern sich das handeln ändert, dass mehr liebe da ist). das bedeutet, dass zum einfachen verstehen noch etwas kommt: das wissen wird so plausibel, und zwar auf mehr als nur der intellektuellen ebene, dass es eine wirkliche, triefgreifende veränderung bewirkt.:“(es ist ein gewisses verdienst der glaubensbewegung, dass sie die „offenbarungslehre“ in den mittelpunkt ihrer theologie und damit auch des interesses gerückt hat. die offenbarungslehre sagt im grunde aus, dass wir uns dadurch geistlich weiterentwickeln, dass gott uns dinge aus seinem wort offenbart. sie werden uns völlig klar und beginnen unser leben zu prägen. das bedeutet nicht, dass ich das ganze theologische system befürworte, aber diesen einen aspekt halte ich schon für einen grund, sich mit der theologie auseinaderzusetzen.)“:
    2. erkenntnis kommt aus der beziehung:
    das ist ein weiterer aspekt davon, dass erkennen auf intimität angewandt werden kann. erkenntnis kann im biblischen sinne nichts kaltes und unpersönliches sein sondern sie erwächst aus der beziehung zu gott. menschlich ist es nicht möglich, einem anderen eine erkenntnis zu vermitteln. das macht sinn, gerade wenn wir den menschen als „strukurdeterminiert“ auffassen. ein mensch kann seine befindlichkeit zwar in einem prozess verändern, aber ein anderer mensch kann ihn nicht zu einer erkenntnis überreden oder überzeugen.
    diese ansicht ist nicht neu. die meisten evenglisten sagen, dass sie niemanden bekehren können, das könne nur gott. jesus selber sprach auch davon (matthäus 16,17), dennoch beachten wir das prinzip in unseren diskussionen normalerweise nicht. da geht es eher darum recht zu behalten und wir verstehen oft nicht, dass der andere „eine andere erkenntnis“ hat. unsere theologischen diskussionen sind deshalb oft so unerfreulich weil wir versuchen, anderen unsere erkenntnisse zu vermitteln und das geht nicht.
    3. erkenntnis schafft glauben:
    wer gott erkannt hat, der beginnt zu glauben. wenn ich „glauben“ schreibe, meine ich glauben im sinne des griechischen wortes; glauben als vertrauen. leider ist dieser begriff im deutschen oft falsch definiert. glauben bedeutet nicht, etwas für wahr zu halten sondern sein vertrauen auf etwas zu werfen. wenn man also aus einer beziehung zu gott etwas verstanden hat und es einem schlüssig erscheint, ist die natürlich reaktion darauf, das vertrauen auf gott zu werfen und ihm ganz einfach kindlich zu vertrauen.
    so funktioniert das ganze christsein. ganz am anfang steht die umkehr zu gott. man erkennt, dass in jesus das heil ist und setzt sein vertrauen darauf, dass es reicht, sein opfer anzunehmen. damit hört man auf, seine eigene selbsterlösung zu betreiben:“(ich weiss, diese gedanken sind sehr skizzenhaft, aber ich will diesen post auch nicht zu lang machen)“:. genauso geht es später weiter: man erkennt etwas in gottes wort, setzt sein vertrauen darauf und wächst so im glauben.
    4. vertrauen schafft werke:
    vielfach wird ein widerspruch aus galater 2,26 (der mensch wird aus glauben gerecht, nicht aus werken) und jakobus 2,24 „Ihr seht, daß der Mensch aufgrund seiner Werke gerecht wird, nicht durch den Glauben allein.“ konstruiert. dieser widerspruch ist gar nicht da, denn jakobus spricht eher von einer glaubensprüfung als einer glaubensgerechtigkeit. glaube als vertrauen muss etwas mit dem menschen machen, man kann nicht vertrauen ohne dass sich etwas ändert. wenn man gott darin vertraut, dass die beziehung zu jesus rettet, wird man christ. wenn man gott für heiligung etc. vertraut, dann ändert sich etwas im leben. ein glaube, der nichts bewirkt ist ein reiner kopfglaube und der ist, nach jakobus, tot.
    damit haben wir eine prüfung: man kann nicht sagen „ich glaube“ ohne dass es taten gibt, die das belegen. so kann man prüfen, ob erkenntnis stattgefunden hat. wenn der glaube auch nach einer gewissen zeit keine verhaltensänderung bewirkt hat, kann man nicht von einer erkenntnis ausgehen, weil der lebensspendende teil der erkenntnis fehlt.

ich habe mich bemüht, das alles in einem bild darzustellen:
erkenntnis
insgeamt bedeutet das, dass es um mehr geht als um erkenntnistheorie. oder anders: sogar um etwas anderes, weil der gegenstand der „erkenntnis“ in der philosophie und theologie unterschiedlich definiert werden muss. so wie ich erkenntnis in der erkenntnistheorie verstehe, geht es darum, wie wir als menschen dinge wahrnehmungen und welchen wahrnehmungsfiltern wir unterliegen:“(philosophisches wörterbuch, krönerverlag: „erkenntnis, das Sichaneignen von erlebten bzw. erfahrenen sachverhalten, zuständen, vorgängen mit dem ziele der wahrheitsfindung. E. heisst sowohl [ungenau] dervorgang, der genauer als erkennen bezeichnet werden muss, als auch dessen ergebnis…)“:. daraus leiten sich dann teilweise sehr radikale theorien wie konstruktivismus ab, die so weit gehen zu behaupten, dass es gar keine wirklichkeit gibt. erkenntnis in der theologie beginnt mit dem erkenntnisbegriff der philosophie geht dann aber weiter weil sie darauf abzielt, den menschen zu verändern und man erst dann von erkenntnis reden kann, wenn lebensveränderung stattgefunden hat. so verstanden ist die philosophische erkenntnis ein teil dessen, was wir in der theologie als erkenntnis verstehen. eisberg
erkenntnis wäre wie ein eisberg :“das eisbergfoto ist von(http://www.wikimedia.org)“:, dess spitze das verstandesmässige verstehen ist, der aber unter der oberfläche noch weitergeht. erkenntnistheorie kann also nur helfen ein paar oberflächliche fragen zu beantworten, nämlich vom anfang der erkenntnis.

ich werde der erkenntnis im biblischen sinne noch weiter nachforschen, bin aber natürlich auch für alle anmerkungen und kommentare wie immer dankbar. dank an frank, der mich mit seinem kommentar noch mal drauf gebracht hat, die frage nach der erkenntnis tiefergehend zu untersuchen!

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Ein Kommentar

  1. Erkenntnis als etwas, dass nicht nur den Verstand, sondern auch Geist und Seele verändert – das ist glaube ich wirklich ein ganz neuer Ansatz. Ich finde auch gut dass du ihn nur aus der Bibel ableitest und nicht aus philosophischen/sozialwissenschaftlichen Betrachtungen.
    Bleibt dennoch die Frage, wie Menschen in Glaubensfragen zu unterschiedlicher Erkenntnis (nun im erweiterten Sinne) gelangen können.
    Weshalb ist ein Siebter-Tages-Adventist zutiefst davon überzeugt, er dürfe kein Schweinefleisch essen, während das für mich kein Problem ist? Er hat nach dem Fürwahrhalten ja auch sein Handeln danach ausgerichtet und es ist wesentlicher Teil seines Lebens. Die Erkenntnis ist also augenscheinlich lebendig geworden, was (wenn ich deinen letzten Post richtig verstehe) auf einen göttlichen Einfluss zurück zu führen ist.
    Aber wenn wir davon ausgehen, dass Gott jedem dasselbe offenbaren möchte, gibt es da ein logisches Problem.
    Wie hoch ist der fehlbare, menschliche Anteil an der Erkenntnis, wie hoch der göttliche?

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