In der letzten Predigt habe ich eine lockere Reihe über unsere Identität in Christus begonnen. Es ging inhaltlich um eine der absoluten Grundaussagen der Bibel über unsere Erlösung: Wir sind die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.

Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden. (2.Korinther 5,21 nach der Einheitsübersetzung)

Die neue Identität ist deshalb schwer zu verstehen, weil sie unser Denken auf den Kopf stellt. In Philosophie, Theologie, Pädagogik, Jura und Psychologie gibt es die Debatte, was der Mensch ist. Ist er das, was er tut oder das, was er ist? Meistens tendieren wir mehr dazu ihn als das zu beschreiben, was er tut. Das ist auch viel einfacher, denn man kann das benutzen, was vor Augen ist um sich ein Bild von jemandem zu machen. Gott sieht aber tiefer, auf das, was wir wirklich sind – und wir sollten lernen, seinem Blick zu folgen.
Bevor ich die Tatsache, dass unser eigentliches Ich unsere Identität in Christus ist, mit einigen Bibelstellen untermauere, will ich mit einem einfachen Bild einsteigen. Ich hoffe, dass es mehr sagt als tausend Stellen.
Eine meiner Lieblings-CDs ist „a kind of blue“. Die CD ist sehr chillig und die meisten, die mal bei mir waren werden sie schon einmal gehört haben, weil sie gut im Hintergrund laufen kann. Über viele Jahre hinweg war sie das meistverkaufteste Jazz-Album überhaupt. Die CD ist von Miles Davies, der als Jazztrompeter bis heute eine Legende ist. Miles Davies wollte ursprünglich nicht unbedingt Jazz machen. Das Problem war nur, dass es nach seinem Studium keine Orchester in den USA gab, die schwarze Musiker einstellten. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als nach Paris zu gehen, Heroin süchtig zu werden und den Jazz neu zu erfinden.
Der Punkt ist, dass seine Identität als Schwarzer negativ über das gestellt wurde, was er tat, nämlich verdammt gut Trompete zu spielen. Was er war wog mehr als was er tat.
Heute würde das jeder als himmelschreiende Ungerechtigkeit empfinden, aber damals war die Welt noch viel rassistischer als heute und es war erschreckende Normalität. Im Positiven ist es genau das, was Gott nach unserer Wiedergeburt tut. Er definiert uns nicht nach dem was wir tun sondern nach dem, was wir sind. Auch wenn wir sündigen sind wir noch die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt und er hört nicht auf gut von uns zu denken. Du sagst vielleicht: „Ich bin ein Zocker!“, aber Gott sagt: „Du bist Gerechtigkeit!“ Nach unseren Maßstäben ist das ungerecht, aber es ist der einzige Weg in den Himmel. Wenn Deine Taten Dich vor Gott gerecht machen müssten hättest Du keine Chance – niemand von uns. Wir könnten vielleicht versuchen, der beste Sünder in der Hölle zu sein, aber für den Himmel reicht es nicht – dafür muss der Wechsel der Identität erfolgt sein.

Jeder, der von Gott stammt, tut keine Sünde, weil Gottes Same in ihm bleibt. Er kann nicht sündigen, weil er von Gott stammt. (1.Johannes 3,9 nach der Einheitsübersetzung)

Mach mal das Experiment und sag: „Ich kann nicht sündigen!“ Es ist ganz schön schwer, das zu sagen. Wir sind so darauf trainiert zu denken, dass wir Sünder sind, dass es uns schwer fällt zu glauben, dass es einen Teil von uns gibt, der nicht sündigen kann. Es regt sich auch schnell der Widerspruch dass wir denken: „Moment, ich zeige Dir gleich, dass ich sehr wohl noch sündigen kann. Das wäre ja wohl gelacht.“ Natürlich kann Dein Körper sündigen und auch Deine Seele. Das wusste auch Johannes und hat auch darüber in seinem Brief geschrieben.
Hier geht es offenbar nicht um den ganzen Menschen nach Körper, Seele und Geist, denn jeder von uns weiß, dass wir sündigen können. Aber ein Teil von uns, der neugeschaffene Teil, kann tatsächlich nicht sündigen und das ist der Teil, der für Gott entscheidender ist als jeder andere.

Die neue Schöpfung

Die beiden folgenden Stellen werde ich in umgekehrter Reihenfolge behandeln und lese sie auch in zwei Übersetzungen vor von denen die eine verständlicher und die andere genauer ist:

Also schätzen wir von jetzt an niemand mehr nur nach menschlichen Maßstäben ein; auch wenn wir früher Christus nach menschlichen Maßstäben eingeschätzt haben, jetzt schätzen wir ihn nicht mehr so ein. 17 Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden. (2.Korinther 5,16-17 nach der Einheitsübersetzung)

Daher kennen wir von nun an niemand nach dem Fleisch; wenn wir Christus auch nach dem Fleisch gekannt haben, so kennen wir ihn doch jetzt nicht mehr so. 17 Daher, wenn jemand in Christus ist, so ist er eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. (2.Korinther 5,16-17 nach der Elberfelder)

Hinten angefangen: Wenn jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung. Welchen Teil von uns kann das meinen? Wovon spricht Paulus wenn er uns eine neue Schöpfung nennt? Unser Körper kann es eigentlich nicht sein. Wenn jemand vor seiner Bekehrung krank war, ist er das meistens auch noch nachher, es sei denn, Gott tut ein Wunder. Wenn jemand vor der Bekehrung klug war, dann auch nachher. Paulus spricht von unseren sterblichen Leibern, da ist also keine große Veränderung zu erwarten. Es wäre auch zu einfach, wenn man Christen an ihrem Äußeren erkennen könnte. Der Körper ist es nicht.
Ist es die Seele? Nein, denn mit der Bekehrung beginnt der Prozess des Umdenkens. Wir erneuern unser Denken und Fühlen an Gottes Wort. Das ist es, was wir gerade eben tun. Die Seele muss die Realität Gottes erst einmal lernen und oft fällt ihr das keineswegs leicht.
Der einzige Teil von dem Paulus hier reden kann ist unser Geist. Derselbe Teil von dem auch Johannes geredet hat. Unser innerster Wesenskern ist das, was Gott neu geschaffen hat.

In Vers 16 benutzt Paulus ein schwieriges Wort: Fleisch. Ich habe deswegen extra noch die Einheitsübersetzung dazu genommen, die als „menschliche Maßstäbe“ interpretiert. Wir beurteilen Christus nicht mehr nach menschlichen Maßstäben, d.h. wir interessieren uns nicht für Äußerlichkeiten Jesu sondern für das, was er wirklich ist. Es gibt immer wieder mal Versuche herauszufinden, wie Jesus wirklich aussah. Man scannt z.B. das Turiner Grabtuch und versucht daraus die menschliche Gestalt Jesu abzuleiten. Sicherlich wäre es interessant zu wissen, wie er ausgesehen hat, aber im Grunde ist das nicht wichtig. Es ist ein nice-to-have, aber sicher kein must-have. Äußerlichkeiten sind nicht entscheidend. Das geht noch tiefer. Man kann Mel Gibsons Passion Christi sehen und das echte verpassen. Wenn man nur den leidenden Jesus sieht, hat man menschlichen Schmerz gesehen, aber keine Erlösung. Man kann auf Jesus schauen, ohne Christus zu sehen – vielen geht das so und Jesus wird zum Motiv der Künste, aber nicht zum Erlöser des Menschen.
Christus nicht nach dem Fleisch zu sehen bedeutet ihn als den zu sehen, der er heute ist: Der auferstandene und wiederkehrende König.
Ebenso wie wir Jesus sehen können ohne Christus zu erkennen, können wir Menschen sehen und das Wesentliche bleibt uns verborgen. Wir können Menschen als das sehen was sie tun und wie sie wirken. Oder wir können auf das schauen, was Jesus in ihnen getan hat. Am einfachsten ist es natürlich, mit sich selbst zu beginnen und sich selbst nicht mehr nach menschlichen Maßstäben einzuschätzen sondern sich im Licht der Erlösung zu sehen. Das geht nicht immer leicht und man muss es lernen, sich zu sehen wie man ist, aber es lohnt sich.
Die einzige Quelle dieses Wissens ist Gottes Wort. Man kann seinen Geist nicht anfassen oder sich auf Gefühle verlassen. Wer Gottes Liebe oder Annahme spüren muss macht sich von einer höchst unzuverlässigen Quelle abhängig. Aus Glauben zu leben bedeutet sich selbst im Licht der Erlösung zu kennen und gemäß dieser Erkenntnis zu leben.

Der Weg zur eigenen Identität

Römer 12,2 zeigt uns, wie man es anstellt, sich mehr über seine Erlösung und die wahre Identität zu definieren:

Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist. (Römer 12,2 nach der Einheitsübersetzung)

„Angleichen“ ist das griechische Wort syschämatizo, darin klingt das deutsche Lehnwort „Schema“ an. Ein Schema ist ein Muster, interessanterweise im Griechischen immer ein äußeres Muster, niemals etwas gedachtes. Wir können uns also nach dem äußeren Muster verhalten, das uns die Welt zeigt. Wir werden das sogar automatisch tun, wenn wir nicht eine gewisse Kraft in Gegenmaßnahmen investieren. Die einzige Möglichkeit etwas gegen diese Weltlichkeit zu tun, ist sein Denken zu erneuern.
Wir sind von kindauf weltlicher Prägung ausgesetzt und leider trägt Religion ein Übriges dazu bei, diese Prägung zu vertiefen. Wir denken einfach nicht wie Gott und müssen Mühe investieren, unser Denken zu verändern. Diese Veränderung geschieht an Gottes Wort und ich empfehle dazu einfach mal ganz unbescheiden mein „Wortbuch“, das sich sehr viel gerade mit Römer 12,2 beschäftigt.

Die Bibel gibt uns einige sehr praktische Tipps, wie man sein Denken verändern kann. Mit einem möchte ich schließen. Er stammt aus dem Philemonbrief. Es ist einer der Privatbriefe des Paulus in dem er um Gnade für einen entlaufenen Sklaven bittet. Eigentlich kein Lehrbrief und er enthält auch nur wenig Theologie, aber Paulus wäre nicht der Apostel gewesen der er war, wenn er die Gelegenheit hätte verstreichen lassen, Philemon etwas theologische Lebensweisheit mitzugeben.

4 Ich danke meinem Gott, indem ich allezeit deiner in meinen Gebeten gedenke,
5 da ich von deiner Liebe und von dem Glauben höre, den du an den Herrn Jesus und allen Heiligen gegenüber hast,
6 daß die Gemeinschaft deines Glaubens wirksam werde in der Erkenntnis alles Guten, das in uns im Hinblick auf Christus ist.
7 Denn ich hatte viel Freude und Trost wegen deiner Liebe, weil die Herzen der Heiligen durch dich, Bruder, erquickt worden sind. (4-7 nach der Elberfelder)

Gemeinschaft ist ein Wort, das man erklären muss. Wenn wir im Deutschen von Gemeinschaft sprechen meinen wir oft etwas in der Richtung von „miteinander rumhängen“ oder zusammen Zeit verbringen. Das griechische koinonia geht dagegen viel mehr in Richtung Teilhabe. Wer Gemeinschaft hat, hat Teil an etwas, er bekommt etwas. Im Deutschen ist das im Begriff der Gemeinde, gerade in der politischen Dimension des Begriffes, enthalten. Eine Gemeinde, z.B. eine Stadt, teilt ihre Ressourcen, man gehört dazu in dem man sich einbringt; es ist im Idealfall ein Geben und Nehmen. Es geht also um die Teilhabe am Glauben.
Diese Teilhabe am Glauben wird wirksam in der Erkenntnis des Guten, das uns durch Jesus ist. Glaube wächst also dort, wo man sich um das kümmert und dreht, was Christus in uns getan hat. Das effektivste was wir tun können um unseren Glauben zu stärken und die Beziehung mit Jesus zu vertiefen ist, uns mit dem Guten auseinanderzusetzen, das er für uns getan hat. Mit anderen Worten: Dass wir darüber nachdenken, beten, lesen meditieren, was Christus am Kreuz für uns erwirkt hat.
Die Herausforderung ist es, dass wir unseren Blick von Jesus weg drehen und auf das schauen, was um uns herum passiert. Wer das tut geht leicht in den Wellen unter wie Petrus. Sein Fehler war es aus dem Boot auszusteigen, zu beginnen im Glauben zu laufen – und dann auf die Wellen zu schauen. Auf einmal wurde seine äußere Realität größer als seine innere.
Christliche Gemeinschaft kann etwas total Runterziehendes sein wenn sie nicht in dem Geist von Philemon 6 geschieht. Wenn man Teil hat am Problem und nicht an der Lösung. Wenn man sich mit Sünde beschäftigt statt mit Erlösung. Wenn man auf das Versagen schaut statt auf das Überwinden. Seine Identität kennen zu lernen bedeutet, konsequent den Blick auf die innere Wirklichkeit zu richten, an dem festzuhalten, was Christus getan hat. Glaube wird dann effektiv wen man an der Erlösung festhält und sich mit ihr auseinanadersetzt. Wo man nicht in den Chor der Welt einstimmt und annimmt, nicht geliebt, gerecht und geisterfüllt zu sein sondern gerade dann an der Wahrheit des Wortes festhält und Gott die bedeutsamste Quelle der Identität sein lässt, die man hat.

 

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2 Kommentare

  1. Leibniz gibt diesem Problem 2000 Jahre nach Epikur den Namen „Theodizee“ – Rechtfertigung Gottes. Er rechtfertigt seinen Gott als Schöpfer der „besten aller denkbaren Welten“, in der das Leiden des Menschen einerseits aus der notwendigen Unvollkommenheit der Welt, andererseits aus der Sündhaftigkeit des Menschen in seiner gottgewollten Freiheit resultiert. Immanuel Kant kommt zu dem Schluss „dass unsere Vernunft zur Einsicht des Verhältnisses, in welchem eine Welt, so wie wir sie durch Erfahrung immer kennen mögen, zu der höchsten Weisheit stehe, schlechterdings unvermögend sei“. Bis heute bietet die Theologie der großen Kirchen immer wieder neue Überlegungen zu diesem Thema. Wo aber können wir die Antwort eines „erneuerten Christentums“ suchen?

  2. Nicht das Sündersein, sondern allein die mit der Gnade im Akt des Glaubens zuteil gewordene Identität des Christen ist Gegenstand seines Selbstverständnisses. In der Tat: Wir s i n d die uns zugeeignete Gerechtigkeit – um sie zu werden, mithin zu leben (Gal 3,26 und Joh 1,12f).

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