19. April 2012 7

2010-10-22 billige Gnade

Meine Predigt bei der Jesus Konferenz endete mit einem Zitat von Dietrich Bonhoeffer. Es stammt aus seinem Buch „Nachfolge“, ich zitiere heute mal unwesentlich mehr, als beim letzten Mal um einen Punkt deutlicher hervorzuheben:

Billige Gnade ist der Todfeind unserer Kirche. Unser Kampf heute geht um die teure Gnade.
Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware, verschleuderte Vergebung, verschleuderter Trost, verschleudertes Sakrament; Gnade als unerschöpfliche Vorratskammer der Kirche, aus der mit leichtfertigen Händen bedenkenlos und grenzenlos ausgeschüttet wird; Gnade ohne Preis, ohne Kosten. Das sei ja gerade das Wesen der Gnade, dass die Rechnung im voraus für alle Zeit beglichen ist. Auf die gezahlte Rechnung hin ist alles umsonst zu haben. Unendlich groß sind die aufgebrachten Kosten, unendlich groß daher auch die Möglichkeiten des Gebrauchs und der Verschwendung. Was wäre auch Gnade, die nicht billige Gnade ist?
Billige Gnade heißt Gnade als Lehre, als Prinzip, als System; heißt Sündenvergebung als allgemeine Wahrheit, heißt Liebe Gottes als christliche Gottesidee. Wer sie bejaht, der hat schon Vergebung seiner Sünden. Die Kirche dieser Gnadenlehre ist durch sie schon der Gnade teilhaftig. In dieser Kirche findet die Welt billige Bedeckung ihrer Sünden, die sie nicht bereut und von denen frei zu werden sie erst recht nicht wünscht.

[…]

Teure Gnade ist das Evangelium, das immer wieder gesucht, die Gabe, um die gebeten, die Tür, an die angeklopft werden muss. Teuer ist sie, weil sie in die Nachfolge ruft, Gnade ist sie, weil sie in die Nachfolge Jesu Christi ruft; teuer ist sie, weil sie dem Menschen das Leben kostet, Gnade ist sie, weil sie ihm so das Leben erst schenkt; teuer ist sie, weil sie die Sünde verdammt, Gnade, weil sie den Sünder rechtfertigt… Teure Gnade ist Menschwerdung Gottes. (Bonhoeffer, Dietrich: Nachfolge, S. 14-16 der Originalausgabe)

Um ermessen zu können, was dieses Zitat bedeutet hat, und wie viel an persönlichem Leid darin steckt, muss man sich vor Augen halten unter welchen Umständen es entstanden ist. Bonhoeffer schrieb das Buch 1937, zu einer Zeit in der sich bereits überdeutlich abzeichnete, dass sein Leben keinen ruhigen Kurs haben würde. Die dreißiger Jahre waren überschattet vom aufziehenden Krieg, Pogrome lagen in der Luft, und die Kirche war dabei sich anzupassen. 1937 schloss die NS-Regierung Bonhoeffers Predigerseminar in Finkenwalde. Man merkt seinen Büchern eine tiefe Sorge um die Kirche an, die sich auch in seinem (kirchen-) politischem Werk in dieser Zeit niederschlug: Er spürte, dass die Kirche innerlich zu geschwächt war, um dem gewachsen zu sein, was kommt. So arbeitete er in fieberhafter Eile an Allianzen und Bekenntnissen, um der Kirche die Kraft zu geben, sich gegen den beginnenden Nationalsozialismus zu stellen.

Ich will unsere Zeit nicht mit den 1930er Jahren vergleichen. Das wäre sicher ein hinkender Vergleich. Aber die Kirche, zumindest unsere Kirche, erscheint mir auf dieselbe Weise geschwächt. Eine schwache Kirche kann nicht die Rolle einnehmen, die ihr Gott in dieser Welt zugedacht hat. Unsere Haltung zu Sünde und Gnade erinnert leider immer noch sehr an diese alte Analyse Bonhoeffers, wir leben oft eine billige Gnade, die das Geschenk der Vergebung als etwas Selbstverständliches annimmt, aber nicht die Veränderung sucht.
Paulus schreibt im 2.Korinther über etwas Ähnliches. Es geht um den neuen Körper und die Angst vor dem Tod:

Solange wir nämlich in diesem Zelt leben, seufzen wir unter schwerem Druck, weil wir nicht entkleidet, sondern überkleidet werden möchten, damit so das Sterbliche vom Leben verschlungen werde. (2.Korinther 5,4 nach der Einheitsübersetzung)

Eine ähnliche Haltung haben wir auch zu unserem alten und dem neuen Leben: Wir würden gerne das neue über das alte ziehen und leben ohne zu sterben. Leider geht das nicht, man kann das neue nur um den Preis des alten haben. Anders hätte man ein prunkvolles Gewand unter dem das alte schimmelt – niemand würde so etwas wollen.
Die Lektion ist also, dass das alte sterben muss damit das neue anbrechen kann. Eine billige Gnade die uns unverändert lässt, mag angenehm erscheinen, ist aber ein Trugbild; es geht Gott um eine tiefe echte Veränderung, nicht um eine oberflächliche Kosmetik.

In einem sehr positiven biblischen Sinne erinnert mich Bonhoeffer an die Propheten des Alten Testamentes. Ihre Aufgabe war es nicht nur die Zukunft vorauszusehen und auch nicht, Informationen über den Messias zu empfangen. Sie waren das Gewissen des Volkes, das die Meinung Gottes auch gegenüber Königen vertraten und zur Buße aufriefen wenn das Volk sich von Gott entfernte.
In der biblischen Geschichte Israels waren sie lebensnotwendig. Die Geschichte lief immer wieder zyklisch: Ging es dem Volk wendete es sich von Gott ab, wurde verschleppt, suchte Gott wieder, wurde frei und der Zyklus begann von vorne. Ich vermute, dass man ähnliches in der Kirchengeschichte findet. Gottes Volk ist stark wenn es in einem bedeutsamen Sinne Gott in der Mitte hat. Wenn Gott nur noch eine Vokabel ist die man im Mund führt, erlischt diese Stärke. Deswegen brauchen wir heute, ebenso wie im Alten Testament, die Stimme der Prophetie, die die Gemeinde in die Nachfolge zurückruft und Sünde beim Namen nennt.
Wir brauchen Menschen, die sich Jesus radikal hingeben und das wirklich ernst und ehrlich meinen und die nicht nur eine Überkleidung suchen sondern echte Nachfolge.

Ich möchte mit einem Bild für billige Gnade schließen, das mir nicht aus dem Kopf geht. Als ich meine Frau geheiratet habe, versprach ich ihr lebenslange Treue. Dieser Aspekt kommt in jedem Trauversprechen vor. Allein dieses Versprechen gibt einer Ehe schon Bestand und Sicherheit. Es besagt: „egal, was Du tust, ich bleibe bei Dir. Ich werde mich nicht zurückziehen und zu meinem Versprechen stehen.“
Auf einem solchen Fundament kann man sicher sein und auch Fehler machen ohne in Angst vor Konsequenzen zu leben. Es wäre aber falsch, das Versprechen als Freibrief zu nehmen und zu sagen: „Du hast versprochen bei mir zu bleiben, jetzt kann ich mich darauf ausruhen und tun was ich will.“ Wer sich mit einer solchen Haltung wie in Arsch benimmt, missbraucht das Eheversprechen.
Mit der Gnade Jesu verhält es sich ähnlich. Sie ist ein Fundament auf dem unsere Gottesbeziehung sicher stehen kann. Wir brauchen keine Angst vor Strafe zu haben, denn Jesus hat für uns bezahlt. Es ist aber ein absoluter Missbrauch dieser Gnade wenn wir einfach so weiter machen wie bisher und nicht frei werden wollen von Sünde.
Aus diesem Grunde fordert uns die Bibel mehrfach auf, unserer Berufung würdig zu leben (Epheser 4,1; Philipper 1,27). Erst kommt die Gnade – sie ist es, die uns frei macht. Aus Dankbarkeit folgt nachher die Heiligkeit. Es beginnt mit Gott, aber es geht zum Menschen. Von diesem Ablauf erzählen einige biblische Geschichten. Wir sollten lernen, das ganze Evangelium zu nehmen und nicht bei der Vergebung stehen zu bleiben, wenn das Ziel eigentlich Freiheit ist.

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7 Kommentare

  1. verdichtet. Zentral ist dabei der Gedanke, dass nur der mitleidende und ohnmächtige Gott helfen kann. Bonhoeffer betont damit auch, dass es ohne Kreuz keine Auferstehung gibt und wendet sich damit gegen eine „billige Vertröstung auf ein Jenseits“.

  2. Bonhoeffer spricht von billiger und teurer Gnade.

    Die erste ist für ihn billig, denn sie ist
    „Gnade ohne Preis, ohne Kosten. Das sei ja gerade das Wesen der Gnade, daß die Rechnung im voraus für alle Zeit beglichen ist. Auf die gezahlte Rechnung hin ist alles umsonst zu haben“.
    Die zweite ist für ihn teuer,
    „weil Gott sein Sohn nicht zu teuer war für unser Leben, sondern ihn für uns hingab“ und „weil sie in die Nachfolge ruft“ [und damit Leistungen des Begnadigten erfordert].

    Das kann ich nicht nachvollziehen. Ich sehe nämlich vier grundsätzlich mögliche Arten von Gnade:
    1. Die bedingungslose Gnade.
    2. Die bedingende Gnade.
    3. Die vermittelte Gnade, die einen Mittler erfordert.
    4. Die unter Bedingungen vermittelte Gnade, die einen Mittler erfordert UND die Erfüllung mindestens einer Bedingung.

    zu 1: Bedingungslos ist sie, wenn sie, OHNE irgendeine Bedingung zu verlangen, ausgesprochen wird.
    – Beispiele für Punkt 1:
    Der Täter wird begnadigt oder ein anstehendes Verfahren ohne Auflagen eingestellt. Diese Gnade ist ein Geschenk ohne Gegenleistung.
    Dies entspricht offenbar der billigen Gnade Bonhoeffers.

    zu 2: Bedingend ist sie, WENN mindestens eine Bedingung zu erfüllen ist, damit die Gnade gegeben wird.
    – Beispiele für Punkt 2:
    Der Täter wird begnadigt, wenn er gesteht, den Schaden ersetzt oder eine Erklärung/Unterlassungserklärung abgibt oder ein anstehendes Verfahren wird mit Auflagen, die der Täter einhalten muß, eingestellt. Ein Sonderfall wäre unter 2. die in den USA mögliche Begnadigung eines zum Tode verurteilten Strafgefangenen, wobei die Todesstrafe zu lebenslanger Haft umgewandelt wird. Die Bedingung ist hierbei, daß eine lebenslange Haft akzeptiert wird.

    zu 3: Vermittelte Gnade ist sie, wenn ein MITTLER erforderlich ist, um die Gnade zu erhalten.
    – Beispiele für Punkt 3:
    Ein Pfarrer (der erforderliche Mittler) ließ im WWII sein Leben für einen zum Tode verurteilten Familienvater (1 Mittler)

    zu 4: Unter Bedingungen vermittelte Gnade ist sie, wenn ein MITTLER erforderlich ist UND die Erfüllung mindestens einer Bedingung, um die Gnade zu erhalten.
    – Beispiele für Punkt 4:
    Jesus (der erforderliche Mittler) starb stellvertretend für unsere Sünden, WENN (eine zusätzl. Bedingung) wir an ihn glauben (1 Mittler + 1 Bedingung).

    In manchen Christlichen Kreisen gibt es noch eine weitere Bedingung:
    Jesus (der erforderliche Mittler) starb stellvertretend für unsere Sünden, WENN (erste zusätzl. Bedingung) wir an ihn glauben UND (zweite zusätzl. Bedingung) diesen Glauben festhalten bis zu unserem Ende (1Kor15,2), d.h. nicht mehr abfallen (1 Mittler + 2 Bedingungen).

  3. Hallo

    ich finde den Artikel gut, weil er zeigt, dass die Gnade nicht nur dazu dient den begnadigten Sünder Vergebung zu schenken, sondern ihn selbst zum Gutes tun Kraft schenkt und somit auf Gegenseitigkeit beruht. Und sicherlich ist es wahr und ein gutes Beispiel, dass man in einer guten in Gott gegründeten Ehe ebenso Güte zeigt immer wieder Fehler zu vergeben und nicht den Treueneid zurückzieht, wenn man enttäuscht wird.
    Man versucht Fehltritte zu klären und zu bereinigen, wenn man miteinander reden kann. Mag sein, dass wir Gott auch immer wieder mal enttäuschen und uns Gott doch wieder vergeben will und kann, doch wenn wir daraus den Schluss ziehen die Gnade wäre unabhängig von unserem Verhalten und die Güte Gottes ausnutzen wollen, wird sie für uns billig.
    Ich habe versucht mit dieser Abhandlung biblisch meinen Standpunkt zu beweisen, dass es eine billige Gnade nicht gibt siehe https://workupload.com/start/hdjmSZXST72

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