16. August 2010 8

Predigt: Selbstzucht

Wir haben in den letzten Wochen bereits über einige Tugenden gesprochen. Bisher waren alle Teil der Frucht des Geistes, die Gott nach Galater 5 in uns aufwachsen lässt. Auch heute wird es wieder um einen Teil dieser Frucht gehen: die Selbstzucht. Die fragliche Gabe findet sich hier:

22 Die Frucht hingegen, die der Geist Gottes hervorbringt, besteht in Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue,
23 Rücksichtnahme und Selbstbeherrschung. Gegen solches ´Verhalten` hat kein Gesetz etwas einzuwenden. (Galater 5,22-23 nach der NGÜ)

Die NGÜ übersetzt hier „Selbstbeherrschung“, das griechische Wort ist enkrateia und ist gar nicht so leicht zu übersetzen, wie man an der großen Bandbreite der Übersetzungsvarianten sieht: Enthaltsamkeit (Elberfelder), Selbstbeherrschung (Einheit, Zürcher, Schlachter 2000 und NGÜ), Keuschheit (Luther), Enthaltsamkeit (Münchner NT). Darunter gefallen mir am wenigsten die Übersetzungen, die eine rein sexuelle Konnotation nahelegen, denn das Wort ist viel breiter in seiner Bedeutung. Es geht darum, seine Wünsche und Leidenschaften zu zügeln und sich nicht von seinen Begierden beherrschen und fortreißen zu lassen.
Dieses Fortgerissensein von den eigenen Begierden ist nach Epheser 2,4 ein Kennzeichen des Weltmenschen. Christus macht uns davon frei, alles tun zu müssen, was wir gerade wollen oder begehren. Das geht so weit, dass Paulus in Philipper 3,19 sagen kann, dass der Gott mancher Leute einfach nur ihr Bauch ist: sie tun alles, was ihr Körper ihnen vorschlägt und haben keinerlei Selbstkontrolle.

Selbstdisziplin macht frei vom Lustprinzip
Von den möglichen Übersetzungen gefällt mir „Keuschheit“ am schlechtesten weil es so eine starke sexuelle Konnotation hat. Selbstdisziplin ist aber mehr. Die meisten Menschen, und davon kann man Christen leider nicht ausnehmen, leben nach dem Diktat ihres Körpers und nach dem Lustprinzip. Sie essen wann und was ihr Körper ihr sagt, schlafen wenn sie sich danach fühlen und tun, was sie wollen – soweit das möglich ist.

Viele leiden unter den Folgen eines solchen Lebensstils. Manch einer sollte unbedingt mal abnehmen, bekommt aber nicht die Versuchung der Chipstüte unter die Füße. Viele Studiengänge dauern ewig lange, weil einfach die Disziplin zum Lernen fehlt. Es macht mehr Spaß auf Parties zu gehen als in der Bibliothek zu sitzen. Mit all diesen Beispielen hat Selbstdisziplin zu tun.
Selbstdisziplin schafft die Möglichkeit nach seinen Werten zu leben statt nach seinem Bock. Wer Selbstdisziplin hat kann das tun, wovon er überzeugt ist statt immer das tun zu müssen, was Spaß macht.
Gerade Christen haben manchmal ein seltsames Ideal was Versuchungen angeht. Sie hätten es gerne, dass Gott entweder alle Quellen der Versuchung aus ihrem Leben entfernt oder aber sie davon frei macht, Versuchungen zu spüren. Das wird nicht funktionieren, denn entweder müssten wir dann die Welt verlassen oder wir würden seltsame Zombies, die total frei von allen menschlichen Wünschen sind.
Die Bibel spricht aber wesentlich mehr davon, dass Anfechtung zu überwinden ist als davon, dass wir einfach keine mehr haben. Sicherlich wird uns Gott von manchem völlig befreien, aber wir bleiben immer noch Menschen mit einem Hang zu moralischen Schwächen und der Notwendigkeit, unserem Lustprinzip etwas entgegen zu setzen.

Wenn es stimmt, dass Selbstdisziplin uns vom Diktat unserer eigenen Wünsche befreit und uns hilft nach dem zu leben, was wir als richtig erkannt haben, dann muss man das auch auf Fremdbestimmung anwenden können.

Selbstdisziplin macht frei von Fremdbestimmung
In der griechischen Philosophie bedeutet enkrateia das Ideal des freien, selbstbestimmten Menschen, der seine Freiheit zu einem tugendhaften leben verwendet. Das Wort könnte man übersetzen mit „Macht über sich ausüben“ (Kittel: „die Wortgruppe […] und bringt zum Ausdruck die Macht oder Herrschaft, die einer bei sich, über sich oder auch über etwas hat“).

Das bedeutet auch, dass man niemand anderem Macht über sich zugesteht. Paulus benutzt das Wort in 1.Korinther 9 um zu beschreiben, wie Kämpfer in der Arena sich allem enthalten um einen Siegespreis zu bekommen.
Selbstdisziplin bedeutet also, dass niemand das Rech hat, uns von dem abzulenken was wir als richtig erkannt haben. Das fällt uns schwer. Wenn unser Freundeskreis etwas gut findet, haben wir eine natürlich Tendenz, das auch gut zu finden. Das kann gut oder schlecht sein. Oft ist es so, dass unsere Freunde und Bekannte uns nicht helfen in der Nachfolge Jesu zu wachsen und uns eher runterziehen. Das ist dann schlecht. Bei dem schönen Wetter kann es sein, dass alle an die Talsperre zum Grillen wollen und die Versuchung ist groß, einfach mitzumachen und den Gottesdienst ausfallen zu lassen. Dann ist die Disziplin gefragt, nach Werten und erkannter Wahrheit zu handeln und sich nicht einfach mitreißen zu lassen. Wir sind mehr als Herdentiere die primitiven Wünschen folgen. Wir haben die Fähigkeit unser Leben an inneren Überzeugungen auszurichten und Selbstdisziplin hilft uns dabei das durchzuziehen.

Gruppenzugehörigkeit kann natürlich auch positiv sein. Warum ist es so, dass jemand der eine Bibel- oder Jüngerschaftsschule macht, in der Zeit tolle Erfahrungen macht und Erkenntnisse bekommt und nachher, wenn die Schule vorbei ist, alles wieder in sich zusammenbricht und auf ein „normales“ Niveau kommt? Zum großen Teil liegt es daran, dass die Schule einen Schutzraum, aber auch ein Gerüst bietet an dem man gar nicht anders kann, als heilig leben. Man muss einfach beten, Bibel lesen und dienen weil es keine Möglichkeit gibt, das zu vermeiden.
Wenn man wieder zurück im Alltag ist bricht es wieder zusammen weil das Gerüst nicht mehr da ist. Letztlich war es eben keine Selbstdisziplin sondern etwas das von außen kam. So kommt es, dass Leute die wiederkommen auf einmal nicht mehr mit Ungläubigen reden oder Bibel lesen oder sonst wie besonders jesusmäßig sind.
Der Trick wäre es, eine innere Struktur zu erlernen, die es im Alltag ermöglicht weiter jesusmäßig zu leben – unabhängig von anderen.

Tugend und Ethik sind nicht dasselbe
Alle Tugenden die wir in dieser Reihe besprechen sind erst einmal wertneutral. Man kann sie für alles mögliche einsetzen. Das macht diese Predigten nicht nur für Christen interessant sondern für alle. Ein Medizinstudent wird ebenso Selbstdisziplin brauchen wie ein Ehemann oder jemand, der im geistlichen Bereich weiterkommen will. Man lernt in diesen Gottesdiensten also etwas fürs Leben; nicht „nur“ für die Nachfolge.

Das macht den ganzen Bereich der Tugenden auch etwas umstritten. In der Politik ist eine kleine Auseinandersetzung zwischen Oskar Lafontaine und Helmut Schmidt bekannt geworden. Schmidt äußerte sich lobend über Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit usw. Darauf sagte LaFontaine in einem Interview mit dem Stern vom 15. Juli 1982: „Helmut Schmidt spricht weiter von Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Machbarkeit, Standhaftigkeit. […] Das sind Sekundärtugenden. Ganz präzis gesagt: Damit kann man auch ein KZ betreiben.“ (Quelle: WikiP).
Damit argumentierte Lafontaine natürlich nicht gegen Tugenden allgemein sondern machte klar, dass es einen moralischen Unterbau geben muss damit die Tugenden zum Nutzen der Menschheit eingesetzt werden.

Dieser Unterbau ist dadurch gegeben, dass wir hier über die Frucht des Geistes sprechen. Es sind Tugenden oder Charaktereigenschaften, die Gott selbst in uns hervorbringt – und das sicherlich nicht um ein KZ zu betreiben. Die Frucht des Geistes ist eingebettet in die Nachfolge Jesu. Friede, Liebe, Freude und Selbstdisziplin sind Teil der Frucht die aus dieser Nachfolge kommt. Damit ist ein Missbrauch zwar nicht ganz ausgeschlossen, aber immerhin erschwert.

[audiopredigt dazu]

Be Sociable, Share!

8 Kommentare

  1. Vielen Dank für diese schöne Predigt – das trifft gerade alles sich sehr gut mit meinen eigenen Gedanken. Ich erfahre gerade in meinem Leben was für ein Gewinn in vielen Bereichen (Sport/Arbeit/Geistliches) es ist, wenn man Selbtdisziplin üben kann; und auch der Punkt, dass es manchmal nicht leicht fällt, das was man als richtig erkannt hat gegen Lust und Laune und gegen den Einfluss anderer Menschen durchzusetzen, ist mir sehr vertraut. Vielen Dank also ! F.H.

  2. herzlich willkommen fabian! und danke für den kommentar, selbstdisziplin ist echt wichtig.

  3. Wie cool ist das denn?
    Gerade recherchierte ich noch ein wenig für meine morgige Predigt nach der Bedeutung des Wortes enkrateia. Erstaunt und erfreut war ich, dass mich eine allseits bekannte Suchmaschine auf Deinen Blog aufmerksam machte. Noch erstaunter und sehr dankbar war ich als ich hier sogar die Definition nach Kittel fand (nach der ich suchte).
    Schön zu lesen, dass Dich ähnliche Gedanken beschäftigt haben wie mich, nämlich die oftmals einseitige Auslegung von enkrateia in Richtung reine Enthaltsamkeit/Keuschheit.
    Liebe Grüße & überfließenden Segen!

  4. das freut mich zu lesen. wobei es natürlich nur ein kleiner teil von kittels mehrseitigem eintrag ist.

  5. Selbsdisziplin ist ein Thema das mich unabhängig von diesem Text schon seit einiger Zeit beschäftigt und wo ich viel lernen konnte. Danke für diesen Text der mir nochmal neuen Antrieb gab und mich positiv inspirierte.

    In meiner Situation bin ich sehr hilfebedürftig und genieße es auf deinem Blog viel zu lesen das mir Hilfe und Trost spendet.

  6. Hallo Armin,
    freut mich zu hören, dass diese Seite Dich aufbaut. So soll es eigentlich sein. Ich wünsche Dir Gottes Segen!

  7. Hey Storch,

    das Thema liegt mir schon recht lange auf dem Herzen und heute Abend gehts damit ab in die Jugendarbeit. Dass ich beim recherchieren dabei auf deine Seite treffe ist natürlich super und gibt noch mal schöne, neue Aspekte und Gedankenanstöße!

    Viele Grüße von den Baptisten in Leipzig,
    Patrick

  8. herzlich willkommen, patrick und ich hoffe, dass ihr einen guten jugendabend hattet. segen an die leipziger baptisten!

Schreibe einen Kommentar

Diese HTML-Tags und Attribute sind erlaubt: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>