Die vierte Vorlesung der „Einführung in evangelische Theologie“ ist der Gemeinde gewidmet. Es war zu erwarten, dass sich in diesem Kapitel viele schöne Zitate und Ausführungen finden würden. Diese Erwartung hat mich nicht enttäuscht. Bereits die ersten Sätze gehen runter wie Öl:

Der Ort der Theologie gegenüber dem Worte Gottes und seinen Zeugen befindet sich nicht irgendwo im leeren Raum, sondern sehr konkret in der Gemeinde. Es ist gerade theologisch ratsam, das dunkle und belastete Wort „Kirche“ wenn nicht gänzlich so doch tunlichst zu vermeiden, es jedenfalls sofort und konsequent durch das Wort „Gemeinde“ zu interpretieren.1

Aus diesen Zeilen spricht eine große Wertschätzung der Kirche gegenüber. Sie ist der Ort an dem Gottes Reden gehört wird und damit der Ort der Theologie schlechthin. Es ist offensichtlich, dass Barth nicht von einer Ortsgemeinde und wohl nicht einmal von der evangelischen oder der römisch-katholischen Kirche spricht. Er spricht vom Leib Christi, von der universalen Kirche die sich aus allen Gläubigen an allen Orten und zu allen Zeiten zusammensetzt. Das ist der Ort an dem Gottes Reden gehört, diskutiert und gelebt wird.
Daran knüpft sich bei Barth jedoch gleich eine Problemstellung an, denn schon der Name „Kirche“ ist in Misskredit geraten. Man kann kaum von Kirche reden ohne Missverständnisse hervorzurufen und unangenehme Erinnerungen zu wecken. Das Wort an sich ist „belastet“.
Es ist immer die Frage, wie man mit einem solchen belasteten Wort umgehen will. Obwohl ich sein Anliegen gut verstehe bin ich anderer Meinung als Barth. Es ist nicht ratsam einen Begriff nicht mehr zu verwenden, weil er schwierig geworden ist. Im Grunde ist nicht der Begriff schwierig sondern die Sache dahinter – zumindest in der Wahrnehmung vieler Menschen. Daher wird es jedem anderen Wort, das vielleicht ein Weile frischer ist, bald ebenso ergehen. Viele Worte gibt es ohnehin nicht und die Vokabel „Gemeinde“ ist für viele Menschen mindestens genauso problematisch wie „Kirche“. Wäre es da nicht besser, die Worte wieder positiv zu prägen statt sie der Vergessenheit anheim  fallen zu lassen?
In der Gemeinde haben wir einen Zuegnisteil; einen Teil im Gottesdienst wo jeder erzählen kann, was er mit Jesus erlebt hat. Das Wort ist Gegenstand derselben Diskussion wie Barths Kirche. Auf der einen Seite ist es ein doofes Wort, das an Schulzeugnis erinnert; auf der anderen Seite ist es griffig und etabliert. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Es ist ebenso wenig tot zu kriegen wie das Wort Kirche. Also lernt man besser damit zu leben und füllt es neu.

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  1. Barth, Karl (1985): Einführung in die evangelische Theologie. 3. Aufl. Zürich: Theolog. Verl, S. 45 []

8 Kommentare

  1. Ich glaube, damit machen es sich die Christen zu einfach. Die Bedeutungen von Worten ändern sich halt, das ist eine normale Entwicklung bei Sprache und auch wenn eine kleine Subkultur trotzdem an einer alten Bedeutung festhält, wird das die Wahrnehmung bei der Allgemeinheit nicht ändern und über kurz oder lang steht man sich damit selber im Weg. Für manche Christen scheint es extrem wichtig zu sein, in einer identitässtiftenden Subkultur zu leben, in der man mit Begriffen wie „Sünde“, „Jungschar“, „Lobpreis“ u.s.w. deutliche Demarkationslinien ziehen kann. Und da wären wir auch wieder bei der Trennung zwischen säkulären und sakralen Ebenen: Wenn die Kirche eine Spezialsprache braucht, um ihre Bereiche zu markieren, zementiert sie diese Trennung.

  2. „Es ist nicht ratsam einen Begriff nicht mehr zu verwenden, weil er schwierig geworden ist. Im Grunde ist nicht der Begriff schwierig sondern die Sache dahinter – zumindest in der Wahrnehmung vieler Menschen.“

    @Storch
    Die Sache, die heute hinter einem Begriff steht, ist nicht die gleiche Sache die – sagen wir vor 20 Jahren – hinter diesem Begriff gestanden hat.

    Wen dem so ist, bleibt nichts anderse übrig: ich muss den Begriff heute verändern, damit er die Sache beschreibt. Ansonsten beschreibt der Begriff eine ANDERE Sache.

  3. Vielen Dank für die anregenden Gedanken. Mir scheint bei Barth die Trennung aus systematischen Gründen wichtig. In großen Kirchen (etwa Landeskirche) ist es ja so, dass das „große Ganze“ mehr das Kirchenamt, die Instanzen der Verwaltung usw. bezeichnet, wohingegen „Gemeinde“ die konkrete „Gemeinschaft der Heiligen“ ist, die sich z.B. zum Gottesdienst versammelt.
    Barth geht von dieser konkreten Gemeinschaft aus, weil sie es ist, in der gepredigt und Sakramente gereicht werden, konkret. Dass es je nach Kirchenmodell (eher episkopalistisch – wie im lutherischen Bereich – oder kongregationalistisch – wie im Baptismus -) mitunter ein bedeutender Unterschied.
    Wenn Bonhoeffer in seiner Doktorarbeit „Communio Sanctorum (= „Gemeinschaft der Heiligen“) den Satz „Christus als Gemeinde gegenwärtig“ formuliert, dann meint er eben die konkrete „Gestalt“ der Gemeinde, nicht die akstrakte der )z.B. evangelisch-methodistischen) Kirche.
    Gruß Frank

  4. Herzlich willkommen, Frank!

    schwierige diskussion… ich weiß was du, Onkel Toby, meinst, aber da bin ich anderer Meinung. Einige in meiner Schulklasse sind in die „Jugend“ (oder wie das hieß) gegangen, andere zur „A-Jugend“ des Fußballvereins. Beides kannte ich nicht, aber das hat keine Hürden aufgebaut. Fachsprache schreckt niemanden ab. Ich versteh heute manche Jugendliche z.b. kaum. Dann habe ich aber einen Test im Radio gehört, der gezeigt hat, dass verschiedene Jugendliche sich auch kaum verstanden hatten weil Begriffe unterschiedlich gefüllt waren.
    macht ja nichts, so ist sprache halt.

    @ waelti: man muss doch nicht immer den begriff ändern wenn sich die sache ändert für die er steht. wie soll das gehen? Dann fügt man halt manchmal eine kleine erklärung ein wo das nötig ist: „der frühe heidegger“ oder die „CDU der 60er Jahre“. Die Begriffe haben ja trotz einiger Bedeutungsverschiebungen noch eine gewisse Kontinuität: der späte Heidegger lebt im gleichen Körper wie der frühe und die CDU ist immer noch die CDU, egal ob in den 60er oder den 90ern.

    @ Frank: mir ist leider nicht klar geworden, über welche organisationsebene barth da schrieb. aber er sagte es ja schon sehr pauschal, so dass ich mir vorstellen kann, dass er einfach nur sagen wollte, dass der begriff schwierig ist. egal, was jemand konkret damit verbindet.

  5. @storch
    ´CDU der 60er Jahre´ ist ein _feststehender_ begriff. was ich meine ist eher in deiner antwort an onkel toby enthalten.
    gemeinplätze (glaube, liebe, hoffnung?) werden ohnehinschon mit unterschiedlichen bedeutungen beladen. ich halte es für denkbar, dass die jetzige generation (im schnitt) _liebe_ anders definiert, als die menschen vor 20, 30, 40 jahren. vielleicht gilt das auch für z.b. religion? und möglicherweise redet ´man´ _mehr_ aneinander vorbei als früher? wenn dies schon innerhalb der gruppe _jugend_ so ist, ist es zwischen unterschiedlichen gruppen vielleicht noch stärker. genaugenommen sind es dann keine begriffe, sondern eher _platzhalter_ für gefühle?

    ich hatte geschrieben ´wenn dem so ist´ (auch wen(n) ein n gefehlt hatte).

    heute habe ich in einem forum die definition darüber gefunden, was denn ein atheistischer (kino)film ist. zusammengefasst etwa so: ein film, in dem nicht _explizit_ auf gott hingewiesen wird, ist atheistisch. hat mich etwas erstaunt. manchmal haben also: mein gegenüber und ich aber sowas von aneinander vorbeigeredet. und keiner hat´s gemerkt.

  6. das ist das problem bei kommunikation. wir reden doch alle ständig aneinander vorbei. aber ich vermute, dass das problem nur größer wird, wenn wir jedes mal bei einem bedeutungswandel ein anderes wort erfinden müssten. dann würde sprache ja noch unübersichtlicher.
    ich finde es sinnvoller, immer mal nachzufragen, was der andere mit einem begriff meint. viele worte sind ohnehin so vielschichtig, dass man ihnen kaum gerecht werden kann und sie in verschiedenen kontexten anders verwendet. „ich liebe meine frau“ ist sicher um eine bedeutungsnuance anders als „ich liebe steak“. dennoch muss man nicht zwingend das wort ersetzen. wäre auch nicht möglich. ich könnte zwar sagen „ich mag steak“, aber das beschreibt nur das rein gescmackliche element.
    auch wenn oft nicht mal über die reine denotation von begriffen klarheit herrscht, muss man sie nicht austauschen. der neue begriff ist auch nicht gegen missverständnisse gefeit, also kann man auch weiter von kirche und sünde reden.

    die definition des atheistischen kinofilms ist komisch, oder? dann sind die meisten filme atheistisch. wenn eine handlung in dem moment atheistisch wird in dem sie nicht direkt auf gott hinweist, bin ich im schnitt wohl auch atheist 🙂

  7. @storch
    Heute fass´ íchs echt kurz 😉
    „ich mag steak“ bedeutet bei mir _mehr_ als nur das geschmackliche element.

    Zu Religion/Atheismus habe ich grade ein Bild im Kopf. Wir (also nicht wörtlich storch/wälti) betreiben unterschiediche Blogs. Der Eine ´wirbt´ für Volkswagen, der Andere für Daimler.

    Null Chance, den VW´ler zur Daimler Seite zu konvertieren. Jedenfalls meistens. Und (nein, nicht vice versa) umgekehrt.

    Allerdings fahren wir ja nicht nur Auto. Wir essen, trinken, schlafen, lieben*, fahren Rad, gehen spazieren etc. pp.

    Ausserdem geht es nicht nur um VW/Daimler. Sondern auch um Kurvengeschwindigkeit, Strassenlage, Spritverbrauch, Platz, Wiederverkaufswert, Rostanfälligkeit, Reparaturkosten etc. pp.

    Es ist nun nicht richtig, dass beispielsweise der Daimler ganz einfach das ´bessere Auto´ ist.

    *) ´liebe machen´ gibt es m.E. nicht. das ist Se*. liebe kann nicht ´gemacht´ werden. insofern gehört ´lieben´ genau zu den Begriffen, von denen jeder eine eigene Vorstellung hat.

    p.s.: das mit dem kinofilm ist… naja, hier bin ich ein meiner eigenen geistigen welt. kann die empfindungen nicht in ein paar worte fassen. die worte wären: nicht komisch, sondern traurig. ich sehe darin das bestreben der meisten menschen, blos nicht über den tellerrand zu schauen.
    p.p.s: beim teil ´das bessere auto _ist_´:
    vermutlich verwenden menschen das IST(Sein) auch häufig, wenn es nur einen ganz kleinen ausschnitt der wirklichkeit – und/oder einen kurzen zeitraum – betrifft.

  8. meinst du mit deinem autovergleich, dass unsere schnittmenge größer ist als man manchmal meint? das sehe ich nämlich auch so und an dem punkt verstehe ich das ideologische aller bewegungen nicht. ich kann mit einem atheisten esse, schach spielen, essen usw. man muss einen menschen ja nicht auf den einen aspekt begrenzen in dem man nicht einer meinung ist.
    ich halte das für eine gute diskussionsgrundlage weil man dann vom konsens her kommt und nicht vom dissens. darin liegt eine basis für echte toleranz, die jemanden stehen lassen kann der eine ganz andere meinung hat und nicht immer daran arbeiten muss, dass alles entweder gleich oder egal ist.

    übrigens ist in unserem gespräch vielleicht ein beispiel für unterschiedliches verständnis von wörtern: ich benutze „komisch“ selten als synonym für lustig. also ist das gegensatzpaar „komisch-traurig“ falsch. meistens meine ich „seltsam“, da passt „traurig“ u.U. hinein.

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