Das ganze vierzehnte Kapitel handelt vom Umgang miteinander in der Gemeinde. Ich stelle mir die Gemeinde in Rom als multikulturellste Gemeinde ihrer Zeit vor. Als Hauptstadt des Reiches wird es viele Kulturen und Religionen in Rom gegeben haben. Es ist kaum vorstellbar, dass diese Pluralität vor der Gemeinde halt gemacht hat.
Das Kapitel beginnt mit einer bemerkenswerten Aussage über den Umgang mit jungen Christen:

Wer noch schwach ist in seinem Glauben,
liebe Schwestern und Brüder,
den nehmt auf in Eure Gemeinschaft,
seid freundlich zu ihm
und führt keine Wortgefechte
über strittige Fragen mit ihm.
1

Natürlich müssen junge Gläubige im Glauben unterwiesen werden, aber es gibt vieles, das einfach nicht so wichtig ist und nicht am Anfang der Unterweisung stehen sollte. Als ich Christ geworden bin, waren kulturelle Fragen in den Gemeinden außerordentlich wichtig. Noch bevor ich ein tragfähiges Fundament im Glauben aufbauen konnte wusste ich schon, dass Gott keine langen Haare, Nietengürtel und Punkmusik mag – alles Dinge, die ich mittlerweile vollkommen anders sehe. Zu Paulus Zeiten gab es keinen Punk und keine ausgeprägte Jugendkultur, deshalb sehen seine Beispiele anders aus: bei ihm geht es um Speisevorschriften und Feiertage.
Interessanterweise schwenkt er im Verlauf des Kapitels etwas um und zeigt, dass unterschiedliche Auffassungen nicht nur bei älteren und jüngeren Christen vorkommen sondern generell zum Gemeindeleben dazu gehört.
Das öffnet einen Zugang zu einer individuellen Ethik, die uns auch an anderen Teilen des NT begegnet. Während es Dinge gibt, die ganz klar daneben sind – Mord, Lüge, Ehebruch, usw. – gibt es andere, die einfach Grauzonen darstellen und die man so oder so sehen kann. Moderne Beispiele lassen sich z.B. im Bereich der Unterhaltung finden: für den einen sind Computerspiele okay, der andere sollte unbedingt die Finger davon lassen. Dasselbe gilt für Fernsehen, Musik, Sport u.a.
Für diese Grauzonen gibt der Apostel zwei gute Faustregeln von denen die erste eine gemeinschaftliche Maxime ist, die zweite eine private:
1)

macht den einen Gedanken
zum Richtmaß eures Handelns:
ich will meinem Bruder
keinen Stein in den Weg legen
und ihm keine Falle stellen,
in die er stürzt
.2

Für Paulus ist der Gedanke des Leibes stets ein bestimmendes Merkmal seiner Theologie gewesen. Ich vermute, dass er gedanklich viel mehr von der Einheit der Gemeinde her kam als vom Individualismus; ein Merkmal, dass ihn von vielen Denkern heute unterscheidet und in dem ich selber auch noch einiges zu lernen habe. Mit so einer Denke muss ethisches Handeln die Gemeinschaft einbeziehen und gemeinschaftsschädigendes Verhalten muss kritisch gesehen werden.
Deswegen ist das erste Prüfkriterium, ob mein Verhalten den Bruder oder die Schwester in Bedrängnis bringt. Natürlich werde ich keinen Alkohol trinken wenn ich trockene Alkoholiker zu Hause habe, auch wenn ich selber die Freiheit dazu habe. Das Prinzip ist unmittelbar einleuchtend, deshalb gehe ich nicht weiter darauf ein.
Leider hat es in der Vergangenheit immer wieder zu Missbrauch geführt, denn es ist natürlich ein „Gummiparagraph“: muss man alles lassen, was jemand anderen stört? Dann kann man bald nichts mehr tun, denn irgendwer hat sicher immer ein Problem mit einer Aussage oder einem Stil. Speziell die Jugendarbeit vieler Gemeinde leidet oft unter einer solchen Auslegung, denn von einer eigentlich tiefen Aussage bleibt oft nur eine Plattheit in den Köpfen: „Du darfst nichts tun, womit Du bei einem Bruder Anstoß erregst“. So dürfen dann keine englischen Lieder gesungen werden, weil die „Alten“ daran Anstoss nehmen. Selbiges gilt für Lautstärke, Kleidung, Ausdrucksweisen und ziemlich alles andere.
Das ist echt Quatsch! Und zwar aus zwei Gründen. Zum einen stellt Paulus das Prinzip auf, dass Starke und Erfahrene auf Schwache Rücksicht nehmen (und nicht umgekehrt, wie es oft gelebt wird!). Zum anderen geht es hier um Dinge, die an die Substanz gehen. Wenn jemand wegen englischer Lieder vom Glauben abfällt und seinen Platz in der Ewigkeit  verliert sollte man darauf Rücksicht nehmen. Wenn er einfach mal ein Lied nicht mitsingen kann ist das tragbar.

2) die zweite Handlungsmaxime ist persönlich und sehr einfach:

Gesegnet aber sei, wer sich nicht selbst
verurteilen muss, sondern sagt:
Ich habe mich geprüft
und stehe zu meinem Verhalten.
[…]
(…) Alles aber,
was nicht aus Glauben getan wird,
ist Sünde
.3

Wir sollten uns schlicht und ergreifend Gedanken darüber machen, was wir tun. Das beinhaltet, dass wir nicht blind irgendwelchen Führern hinterher laufen und tun, was sie uns sagen, sondern dass wir selber prüfen und entscheiden. Wir können in strittigen Fragen selber Bibel lesen, beten, goolgeln und uns beraten lassen. Es ist schlimm, wenn Christen so unmündig sind, dass die Leitung einer Gemeinde oder Bewegung regelmäßig sagen muss, was man tun und wo man hingehen darf. Der Markt solcher Bücher ist ja riesig, besonders wenn es darum geht, was man nicht lesen, hören, glauben oder besuchen darf.
Wir müssen selber lernen uns mit Hilfe der Bibel und des Heiligen Geistes zu prüfen und dann mit gutem Gewissen zu dem zu stehen, was wir tun.

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  1. Jens, Walter: der Römerbrief. Stuttgart: Radius-Verl. (Radius Bücher), S. 66 []
  2. Jens, Walter: der Römerbrief. Stuttgart: Radius-Verl. (Radius Bücher), S. 68 []
  3. Jens, Walter: der Römerbrief. Stuttgart: Radius-Verl. (Radius Bücher), S. 70 []

3 Kommentare

  1. Volle Zustimmung; fatal wäre es darüberhinaus, wenn Gemeinden von ihrer Leitung unmündig gehalten werden – sei es bewußt, vorbewußt oder unbewußt.

  2. Röm 14 – ein echt wichtiges Kapitel
    Aber eine Frage –
    „Das ist echt Quatsch! Und zwar aus zwei Gründen. Zum einen stellt Paulus das Prinzip auf, dass Starke und Erfahrene auf Schwache Rücksicht nehmen (und nicht umgekehrt, wie es oft gelebt wird!).“
    Wie definierst du hier „Starke“ und „Schwache“?

  3. hallo m.,
    herzlich willkommen hier!

    Im Sinne des Paulus wären „Starke“ Christen, die schon weiter und fester sind im Glauben als die „Schwachen“. Noch genauer zu trennen ergibt eigentlich keinen Sinn, weil es sehr individuell ist, wer stark ist und wer schwach.

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