Vorsicht mit Zeugnissen!
Eine Sache, die mir bei der Umsetzung der Bibel geholfen hat, ist eine Unterscheidung aus der Gemeindebauliteratur. Nämlich die Unterscheidung von Modell, Zeugnis und Prinzip(1) . Diese Unterscheidung hat nicht nur in Bezug auf Modellgemeinden ihre Berechtigung, sondern auch in der Bibelauslegung.
Bevor wir anfangen umzusetzen, wollen wir lernen, die drei Begriffe voneinander zu unterscheiden, um zu einem tieferen (praktischen) Verständnis der Bibel zu gelangen. Weil die Bibel eben nicht das „Buch von Gott“ ist, sondern das „Buch der Beziehung Gottes mit den Menschen“, finden wir alle drei Bereiche bunt nebeneinander.

1. Zeugnisse

Die Siebzig aber kehrten mit Freuden zurück und sprachen: Herr, auch die Dämonen sind uns untertan in deinem Namen! – Lukas 10,17

Das ist ein typisches Zeugnis. Die Jünger hatten etwas erlebt und berichten jetzt davon. Zeugnisse gibt es viele in der Bibel. In allen Bibelbüchern sind Erfahrungen mit Gott überliefert, die jemand vor langer Zeit gemacht hat. Die Gefahr für die Umsetzung ist nun, dass nicht alles, was jemand mit Gott erlebt hat, auch universal umsetzbar ist. Mit anderen Worten: was bei mir funktioniert hat und wovon ich begeistert bin, muss bei Dir noch lange nicht klappen!
Viele seltsame Theologien und Praktiken haben ihren Ursprung in Zeugnissen.

2. Modelle
In der Bibel kommen nicht nur einzelne Personen vor, es ist auch die Rede von Gemeinden, Diensten usw. Diese haben eine Struktur, ein Modell, nach dem sie funktionieren. Ein Modell ist nichts weiter als eine Art, etwas zu machen. Das gilt im Grossen wie im Kleinen. Gemeinden haben ein Modell, aber auch einzelne Personen können ein Modell für ihren Dienst haben. Ich wage zu behaupten, dass wir alle in irgendeiner Weise Modell haben, nach denen wir unser Christsein und unseren Dienst leben.
Ein Modell entwickelt sich normalerweise aus Zeugnissen. Das, was funktioniert hat, wird wiederholt. Gefährlich wird es, wenn Modelle der Bibel eins zu eins übertragen werden sollen. Wer hat nicht schon einmal von der Gemeinde nach dem Neuen Testament oder der Bibel gehört? Es ist ja auch eine gute Sache, biblisch sein zu wollen. Tatsache ist aber, dass sich das biblische Modell nicht finden lässt. Weder für den einzelnen, noch für die Gemeinde. Die Bibel ist in Bezug auf Modelle im Höchstmass pluralistisch, das zeigt sich z.B. darin, dass sich Vertreter der verschiedensten Leiterschaftsmodelle alle auf die Bibel berufen. Gemeinden, die von einem Ältestenkreis ohne Pastor geleitet werden, berufen sich ebenso auf die Bibel wie pastoralgeleitete Gemeinden.
Da die Bibel kein Modell lehrt, sollten wir mit Modellen genauso vorsichtig sein, wie mit dem Umsetzen von Zeugnissen.

Beispiel: Heilungsgebet bei Vineyard
Das ist zwar kein biblisches Beispiel, illustriert aber hervorragend, wie sich Modelle verselbständigen können. John Wimber schreibt(2) :
Immer wieder werde ich gefragt, warum viele Mitglieder der Heilungsteams der Vineyard Christian Fellowship ihre Hände nicht wirklich auflegen, sondern sie oft in einiger Entfernung halten. Darauf kann ich nur antworten, dass durch gewisse Umstände manchmal seltsame Bräuche entstehen…
Bis zum Jahre 1983 traf sich die Vineyard Christian Fellowship immer in der Turnhalle eines Gymnasiums, in der es keine Klimaanlage gab. Im Sommer (und gelegentlich auch um Winter) beträgt die Außentemperatur bei uns oft 32 Grad, manchmal steigt sie sogar bis auf 37 Grad an; in der Turnhalle war es dann natürlich noch viel wärmer. Wegen der Hitze und weil alles klebte, legte immer nur einer dem Kranken richtig die Hände auf, die anderen Mitglieder des Gebetsteams hielten ihre Hände über den Menschen, ohne ihn zu berühren. 1983 zogen wir in ein Gebäude mit Klimaanlage um; obwohl die Temperatur nun erträglich war, hielten viele nach wie vor ihre Hände nur über die Kranken, ohne sie richtig aufzulegen. Menschen aus anderen Kirchen und aus anderen Teilen der Welt, die an unserem Heilungsseminaren teilnahmen, haben diese Art zu beten einfach übernommen.
Ich glaube nicht, dass es falsch ist, für einen Kranken mit ausgestreckten Händen zu beten, ohne sie ihm wirklich aufzulegen, besonders dann nicht, wenn wenigstens einer aus dem Gebetsteam dem Hilfesuchenden die Hände auflegt. Trotzdem ist der Gedanke amüsant, dass Tausende Menschen auf der ganzen Welt sich angewöhnt haben, auf diese Weise zu beten, nur weil wir früher in einer heißen Turnhalle zusammenkamen.

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Anmerkungen
(1) Christian A.Schwarz: Die natürliche Gemeindeentwicklung, Seite 59.
Schwarz nimmt noch das „Programm“ in seine Unterscheidung auf, jedoch scheint mir dieses hermeneutisch unwichtig.
(2) Heilung in der Kraft des Geistes, Seiten 203f

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