ich möchte meinem ersten beitrag zu prägungen als quelle der theologie gerne noch etwas sehr subtiles hinzufügen, was ich in dem ersten beitrag vergessen habe. vergessen ist vielleicht nicht ganz richtig, vielmehr dachte ich, dass es nicht passen würde und besser an anderer stelle erwähnt werden sollte. mittlerweile ändert sich die gesamtstruktur in meinem kopf mehr und mehr und ich denke, dass es doch unter die prägungen gehört.

jeder mensch wird in eine familie, eine gemeinschaft, ein land (allgemein: eine gruppe) hineingeboren und von den werten dieser gruppen geprägt. man nimmt dinge schon „mit der muttermilch“ auf und ist sich nachher gar nicht mehr dessen bewusst, dass man von anderen geprägt wurde. wir lesen gottes wort durch die brille von werten und maßstäben, die andere uns aufgesetzt haben. das zeigt sich in besonderem masse darin, wie wir begriffe füllen, die biblisch nicht klar gefüllt sind. z.B. heiligkeit.
mir scheint, dass heiligkeit ein begriff ist, der je nach land aus dem man kommt ganz unterschiedlich belegt ist. von der bibel her verstehe ich den begriff sehr weit gefasst. heiligkeit hat mit einem leben nach gottes massstäben und der eigenen erkenntnis zu tun und hat damit immer auch etwas individuelles an sich, weil sie aus der beziehung zu jesus kommt. aber in allen konservativeren glaubensrichtungen kann man heiligkeit sehr gut anhand einer liste von do´s und dont´s beschreiben. das seltsame ist nur, dass diese listen je nach theologie und geographischer herkunft weit auseinandergehen.

ich kenne mich sicher nirgendwo besser aus als in der deutschen gemeindelandschaft, habe mich aber auch viel mit amerikanischen theologien auseinandergesetzt. da hauptsächlich mit charismatischen bewegungen, prophetischen sachen und dem faith-movement. ich habe bücher von allen grössen dieser bewegung gelesen und viele amerikanische kassetten gehört. das verschafft mir sicherlich keinen genauen überblick, aber ein paar sachen fallen schon auf:

    in amerika trinkt man keinen alkohol.
    ok, keine grosse sache und schliesslich haben sie ja auch eine prohibition gehabt. aber es ist für mich als europäer erstaunlich, wie viele prediger völlig gegen das trinken von alk sind. das kann natürlich damit zusammenhängen, dass es kein leckeres amerikanisches bier gibt, aber egal woran es liegt, es ist so. demgegenüber ist bei französischen christen (von denen es nicht viele gibt) völlig normal beim mittagessen(!) die ein oder andere flasche wein(!!) zu trinken und anschliessend einen kleinen absacker. das gleiche dann nochmal abends. für deutsche christen ist es gleichfalls total normal und völlig okay, bier zu trinken – und in vielen fällen mehr als eins.
    ich trinke fast gar keinen alkohol und komme mir auch auf christlichen parties damit schon manchmal recht allein vor.
    amerikanerinnen schminken sich.
    deutsche auch, manche lehnen es aber (aus religiösen gründen!) auch strikt ab. jüngst hörte ich eine predigt von einem schweizer über die sünde des schminkens und schmückens. da hatte er einen rechtschaffenen hals drauf. alles garniert mit gelegentlichen bibelstellen die, ihres natürlichen zusammenhangs beraubt, zeigten, dass nur innerlich verkommene frauen und angehörige gewisser berufsstände schmuck und schminke nötig haben. die frommen frauen haben doch den heiland!
    amerikaner trennen keinen müll.
    während umweltschutz in deutschland zum guten ton gehört und es bei vielen als zeichen eines noch unveränderten charakters gilt, keinen müll zu trennen, altglas und altpapier nicht fachgerecht zu entsorgen, usw. scheint es in amerika recht üblich zu sein, seine alte waschmaschine im nächstgelegenen fluss zu entsorgen. seltsam, wenn ich das machen und zugeben würde, käme ganz sicher jemand der fragen würde, ob jesus seine waschmachnine auch in den rhein werfen würde.

natürlich sind das plattheiten, aber gern und oft gehörte. da ist bestimmt ein körnchen wahrheit dran. so hört ich mit eigenen erstaunten ohren einen zu der zeit sehr renommierten amiprediger sagen, dass es in deutschland wegen der gemischten badeanstalten keine erweckung gebe. genau: die badeanstalten sind schuld!

generell habe ich das gefühl dass heiligeit seit dem vierten jahrhundert (als das christentum mir-nichts-dir-nichts zur staatsreligion erhoben wurde) immer mit den herrschenden konservativen strömungen des jeweiligen landes identifiziert wird. im grunde finde ich es seltsam das jesus, der überall angeeckt ist und dem establishment (dem religiösen zumal) ein beständiger dorn im auge war, auf einmal vom selben menschenschlag die ihn verfolgten, zum schutzpatron der spiessigkeit erhoben wird. ich weiss, das ist eine harte aussage, schreibt mir trotzdem keine bösen emails, ich les´die eh nicht! dennoch ist es so, dass die bibel beständig gerade gegen nonkonformisten und alternative eingesetzt wird. konsequenterweise erscheint das christentum vielen als langweilig, verstaubt und antiprogressiv.
ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass gott an kleidung, pünktlichkeit, schminke, essgewohnheiten usw. interessiert ist. zumindest nicht in der regel. natürlich kann man mit allem ein gesundes mass überschreiten oder schädliche motive haben; dann wird der heilige geist den sensiblen überführen (direkt, durch bibel oder geschwister), grundsätzlich aber sieht er auf das herz…> 1.samuel 16,7

natürlich werden nicht nur für gesellschaftliche konventionen mit heiligkeit verwechselt. es gibt auch dinge, die rein einer glaubensbewegung entspringen. z.b. gibt es in der stadt in der ich lebe eine sehr grosse darbystengemeinde (exklusive versammlung), die an kleiderordnungen festhält und in der man ordentlich gekleidet in den gottesdienst geht. die kleiderordnung ist aus der vergangenheit der gemeinschaft übernommen. frauen tragen immer röcke und schneiden sich nicht die haare. männer haben kurze haare und sind gleichfalls ordentlich gekleidet.
gerade der „sonntagsstaat“, an dem selbst in den landeskirchen noch manche festhalten, ist eigentlich biblisch kaum verstehbar. ich kann mir beim besten willen nicht vorstellen, dass die jünger sich zum gottesdienst umgezogen haben. sicher haben sie nicht vorher geduscht. die sauberkeits- und hygienestandards damals waren nicht sooo hoch. trotzdem gilt es jetzt bei vielen als zeichen der ehrfurcht, sich chic zu machen bevor sie in den gottesdienst gehen.
eine lustige anekdote am rande: einige freunde von john nelson darby fanden, dass dieser für einen grossen theologen und reformator unziemlich gekleidet war. er achtete nämlich nicht im mindesten auf seine kleidung und lief rum wie ein penner. also tauschten seine freunde nachts heimlich seine alten abgetragenen klamotten gegen neue aus und legten ihm diese hin. morgens zog er die neuen sachen an und verlor nie ein wort darüber – wahrscheinlich hat er es nicht einmal gemerkt…
einem zeitgenossen darbys, spurgeon, warf man hhingegen vor, er wäre wie ein modegeck gekleidet. seltsame welt, dass jetzt die anhänger darbys und spurgeons gleichermassen wert auf ordentliche kleidung legen.

wenn man in einem solchen system aufwächst, merkt man gar nicht, wie sehr das ganze leben und die wahrnehmung gottes von dieser prägung bestimmt wird. ich kenne eine frau, die nach jahrzehnten mit dem darbysmus gebrochen hat, als ihr aufgefallen war, dass in der bibel gar nicht steht, dass frauen röcke tragen müssen.

wohlgemerkt ich schreibe das alles nicht um die praxis dieser geschwister anzugreifen oder mich darüber lustig zu machen. mir geht es um erkenntnistheoretische aspekte und die lassen sich an diesen beispielen gut belegen. wenn man etwas in der kindheit oft gesagt und gut vorgelebt bekommt, dann verselbständigt sich das wissen irgendwann. dann kommt man gar nicht auf die idee mal selber nachzuforschen, was die bibel zu einem bestimmten thema sagt sondern man übernimmt einfach, was man gehört hat.

das gilt nicht nur für strikte glaubenssysteme sondern auch für die gesellschaftlichen prägungen, die man übernimmt.

in der amerikanischen theologie wird z.b. sehr viel durch die prägung des patriotismus gesehen. eine prägung die für viele deutsche nur schwer nachzuempfinden ist. so kommt es, dass prediger in ein und derselben predigt sich für nächstenliebe aussprechen und für den irakkrieg argumentieren können. als deutscher zucke ich innerlich zusammen und denke, dass es nicht passt, aber im publikum gibt es applaus, also passt es da sehr wohl. während also viele christen in deutschland über pazifismus diskutieren ist es für einen amerikanischen christen normal und wohlangesehen in den krieg zu ziehen (so lange er sich da nicht betrinkt). „bigott!“, sagen die einen. „göttlich“, die anderen. heiligkeit, was man als christ darf und soll, und was nicht, ist oft nur eine frage kultureller prägung.

ich würde diesen post gerne mit einen appell beschliessen:
wenn wir darüber nachdenken, was ein heiliges leben ausmacht, dann lasst uns
1) skeptisch sein gegenüber unseren werten und diese nochmal biblisch beleuchten
2) das augenmerk mehr auf die ursache der heiligkeit richten als auf das ergebnis

der erste punkt bedeutet, dass wir genauso ge- oder verprägt wurden wie jeder andere mensch auf der welt auch. auch uns kommen dinge falsch vor, die eigentlich neutral sind. auch wir sollten vorsichtig damit sein unsere kultur und werte als für alle gültig anzusehen.

der zweite punkt will sagen, dass heiligkeit einer beziehung mit jesus entspricht. sie ist das a und o. aus der beziehung heraus wachsen wir. das innere muss vor dem äusseren kommen. meistens wird heiligkeit als eine verhaltensmodifikation missverstanden. dabei will gott unser herz ändern. wenn das herz geändert ist folgen die taten nach. was dabei rauskommt ist heiligkeit – wie diese aussehen wird kann man schwer voraussagen, aber viele würden sich wundern!

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3 Kommentare

  1. Hallo Storch,
    meine Frage hat jetzt nichts mit diesem Post zu tuen, aber ich wollte mal fragen ob du dir die Bibelverse/abschnitte zum täglich meditieren selber raussuchst oder ne Datenbank oder sowas hast? Bitte antworte per Email, danke und Gottes Segen.

  2. Hallo Storch,
    bin mir nicht sicher, ob du es in deinen MT-Posts schon erwähnt hattest, habe aber heute morgen Römer 14 gelesen und fand, dass Paulus hier auch (am Beispiel von unterschiedlichen Einstellungen zum Essen) sehr gute Prinzipien für eine gewisse Pluralität der Gottes-Wahrnehmungen aufstellt. Allerdings gehts hier primär um innergemeindliche Verschiedenheiten.

  3. Mal aus der Hüfte geschossen:
    Ich hab „Heiligkeit“ eigentlich immer als einen Lebenstil verstanden, der Gott ähnlich ist. Heilig im Sinne von Heil aber auch im Sinne von abgesondert, anders. Gott ist Heilig, und wenn wir heilig leben, dann bedeutet das für mich, so zu werden wie er. Das ist natürlich eine Zielvorstellung, genau so werden wie Gott, geht garnicht (Sorry Herr Bauer). Um so ähnlicher ich Jesus werde, um so heiliger werde ich. Um so mehr mein Lebenstil seinem ähnlich wird, seinem Glauben, seiner Art, umso heiliger lebe ich. Ich kann das jetzt garnicht unbedingt an Werten oder Taten bei mir fest machen. Es ist mehr ein Gefühl (die sind subjektiv, ich weis).
    Mhh, muss man trotzdem mal drüber nachdenken.
    Wie gesagt: Aus der Hüfte geschossen.

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