26. Juli 2006 3

der Knebelvers

Kaum ein Bibelvers hat der theologischen Diskussion so schweren Schaden zugefügt wie Matthäus 7,1, hier nach der Einheitsübersetzung zitiert: Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! So, wie er manchmal zitiert wird ist dieser Vers ein rechter Knebelvers, der jedem gesagt wird, der an einer theologischen Meinung etwas zu kritisieren hat. Sagt man: „Jener irrt!“ oder „jene hat unrecht!“ kommt mit schöner Regelmässigkeit Matthäus 7,1: „Du sollst nicht über Deinen Bruder oder Schwester richten“. Damit sind dem theologischen Diskurs enge gesetzt und Fortschritt wird in unserer Disziplin zur Utopie, denn Fortkommen geschieht zu einem grossen Teil durch kontroversen Austausch über ein Thema.
Unnötig zu sagen, dass ich das für eine Fehlinterpretation halte. Das kann Jesus gar nicht gemeint haben, denn kurz darauf, nur sechs Verse weiter unten heisst es: Gebt das Heilige nicht den Hunden, und werft eure Perlen nicht den Schweinen vor, denn sie könnten sie mit ihren Füßen zertreten und sich umwenden und euch zerreißen. Also tut es schon not Menschen zu beurteilen um zu wissen, wem man was geben kann…
Ich persönlich habe folgende vier Richtlinien für mich erarbeitet, die es ermöglichen zu kritisieren und in einen theologischen Diskurs zu treten und dennoch nach Matthäus 7,1 zu handeln:

  1. Ich bin kein Richter:
    Ein Richter hat über dem verhandelten Gegenstand zu stehen. Er darf nicht befangen sein, das Thema darf ihn nicht persönlich betreffen. Er steht unparteiisch über den Dingen und fällt deshalb ein objektives Urteil (zumindest in der Theorie). Bei mir ist das anders; ich stehe in den Dingen, das Thema betrifft mich und ich weiss, dass ich kein objektives Urteil fälle – das gibt eine gewisse Demut der eigenen Meinung gegenüber. Ich weiss, dass ich genauso zu Irrtümern neige wie mein Gegenüber.
    In den Versen zwischen 1 und 6 redet Jesus von Balken und Splittern und bringt damit einen entscheidenden Punkt an, den wir bedenken sollten: wir sitzen im selben Boot wie der, dessen Meinung wir kritisieren. Es kann dasselbe Holz in beiden Augen sein.
  2. Ich richte nicht:
    Der Job eines Richters ist es, Schuld zuzuweisen und aufgrund dieser Schuld Strafen zu verhängen. Dabei passiert etwas erstaunliches: es werden Fakten geschaffen. Das ist gerade bei Fällen, die aufgrund von Indizien entschieden werden wichtig. Da steht dann zuletzt Aussage gegen Aussage und der Richter sagt „so ist´s gewesen“. Dieser Spruch hängt dem Beklagten sein Leben lang an.
    Im Diskurs geht es nicht darum Menschen für die Ewigkeit auf eine Aussage, Ansicht oder Tat zu reduzieren. Im Gegenteil, ich weiss, dass Meinungen sich ändern. Im Laufe eines langen Lebens kann man viele verschiedene Stadien durchlaufen und seine Meinung wieder und wieder ändern. Also meissle ich, anders als der Richter, lieber nichts in Granit und lasse jedem Andersdenkenden Spielraum für Veränderungen (und hoffe, dass er mir denselben auch lässt). Schliesslich haben wir alle schon erlebt, dass aus Gegnern Freunde wurden, die sich irgendwann wieder gegenüberstanden.
  3. Ich unterscheide zwischen Mensch und Position:
    Das tut auch der Richter. Auch wenn er den Hintergrund des Angeklagten mit in die Urteilsfindung einfliessen lassen muss richtet er doch die Tat. Es gab da in der Rechtsphilospophie eine Debatte, die mehr als hundert Jahre andauerte und das Thema behandelte ob man den Verbrecher verurteilt oder das Verbrechen. In der momentanen Gen-Debatte wird das sicher auch wieder ein Thema werden, für mich ist es aber klar: es geht um Standpunkte und nur um indirekt um Personen.
    Wie in der Justiz gibt es fliessende Grenzen denn die Tat ist ebensowenig vom Menschen zu trennen, der sie begangen hat wie der Gedanke vom Menschen zu trennen ist, der ihn denkt. Aber das Prinzip bleibt unbeschadet: es geht um Positionen, nicht um Personen.
  4. Ich bin um Fairness bemüht:
    Auch dieser Punkt unterscheidet mich nicht vom Richter. Auch er muss um Fairness bemüht sein. Jesus packt diesen Punkt in Vers 2: denn wie ihr richtet, so werdet ihr gerichtet werden, und nach dem Maß, mit dem ihr meßt und zuteilt, wird euch zugeteilt werden. Das ist eine klare Warnung: wie es in den Wald hineinruft, schallt es heraus. Wie wir mit anderen ins Gericht gehen, werden es andere mit uns tun. Ein guter Grund für Gnade, Fairness, Unterstellung guter Motive usw.

 

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3 Kommentare

  1. danke, dass sind sehr gute punkte! es gibt halt doch einen dezenten unterschied zwischen be- und verurteilen. der vergleich mit dem richter gefällt mir echt gut… und ich bin froh, dass du heute wieder denken konntest trotz sommer 😉

  2. heute ist echt okay. nicht so heiss wie die letzten tage. ich sitz im garten und komm endlich mal wieder mit dem schreiben gut voran.

  3. hallo storch,

    sehr guter post mit interessanten gedanken.

    danke und grüße

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