hebräer 12:3 sagt nach der elberfelderübersetzung: „… betrachtet den, der so großen Widerspruch von den Sündern gegen sich erduldet hat, damit ihr nicht ermüdet und in euren Seelen ermattet!“ anders als andere deutsche übersetzungen entscheidet sich die elberfelder für „bretrachten“. alle anderen übersetzen in die richtung von „bedenken“. rein vom wort her ist das so auch richtiger, vnalogi,zomai (analogizomai) bedeutet „abwägen, bedenken, usw.“. dennoch finde ich die elberfelder übersetzungsvariante gelungen, denn genau das ist ja der sinn bei tiefem nachdenken über jesus, dass ein innneres bild entsteht. nach meinem verständnis hat dieses „erwägen“ die bedeutung von meditation, einem fortwährenden, tiefen kreisen der gedanken um jesus.

eine andere stelle im hebräerbrief greift den gedanken noch einmal auf und führt ihn fort:
… Laßt uns mit Ausdauer in dem Wettkampf laufen, der uns aufgetragen ist, 2 und dabei auf Jesus blicken, den Urheber und Vollender des Glaubens; … (hebräer 12,1-2 nach der einheitsübersetzung). hier schreibt die elberfelder „hinschauen“, schlachter „im aufblick“. alle drei varianten geben das griechische avfora,w (aphoraoo) gut wieder. es bedeutet hinsehen, „etwas mit den augen fixieren“. irgendwo las ich sogar, es kann bedeuten „von allem anderen wegsehend sich auf eine sache konzentrieren“. leider kann ich das zitat gerade nicht nachweisen.

was auf jeden fall dabei herauskommt ist, dass wir auf jesus schauen sollen. dass wir uns mit ihm auseinandersetzen sollen bis ein inneres bild entsteht, dass die „erleuchteten augen unseres herzens“ (epheser 1,18) ihn sehen sollen. hier kommt auch die christliche redewendung her, dass wir „auf jesus sehen sollen.“

kruzifixin den letzten tagen beim beten habe ich mir immer wieder die frage gestellt „was sehe ich, wenn ich auf jesus sehe?“.
man kann diese frage ganz unterschiedlich beantworten, ja nachdem in welchem stadium seines lebens man jesus sieht, also womit man sich gerade beschäftigt. wenn ich die evangelien lese sehe ich meistens jesus, den freund der sünder, der heilend, segnend und predigend durch die lande zog. im lobpreis sehe ich oft den erhöhten und verherrlichten jesus vor mir (philipper 2,9ff). aber in den letzten tagen sehe ich den jesus dazwischen vor mir. den gekreuzigten jesus. ich habe ein kruzifix mit korpus vor mir auf dem schreibtisch stehen. alex hat es mir einmal geschenkt. es ist schon was älter, einige finger sind abgebrochen, aber es hilft mir, den gekreuzigten jesus zu sehen.

was wir sehen, wenn wir jesus am kreuz sehen ist jesaja 53,2-6:
Er hatte keine schöne und edle Gestalt, so daß wir ihn anschauen mochten. Er sah nicht so aus, daß wir Gefallen fanden an ihm.
Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er verachtet; wir schätzten ihn nicht.
Aber er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt.
Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt.
Wir hatten uns alle verirrt wie Schafe, jeder ging für sich seinen Weg. Doch der Herr lud auf ihn die Schuld von uns allen.

wenn wir auf jesus sehen, sehen wir irgendwo an seinem zerstörten körper unsere sünde. das, was wir gerade tun, was wir nicht unter die füsse bekommen und was wir vielleicht auch nicht gerne lassen wollen; irgendwo an seinem körper können wir es sehen.
wenn wir auf jesus sehen, sehen wir irgendwo an seinem geschundenen körper unsere krankheit. der krebs der an uns frisst, die migräne an die wir uns fast gewöhnt haben, alle krankheit dieser welt ist irgendwo an diesem kreuz.
wenn wir auf jesus sehen, sehen wir irgendwo an seinem sterbenden körper unsere schmerzen. all die verletzungen von früher und die angst vor der verletzung von morgen. all das, was uns seelisch zu schaffen macht, sehen wir irgendwo auf jesus liegen.

petrus hatte jesus so gesehen, sonst hätte er nicht schreiben können, dass wir in seinen wunden geheilt sind (1.petrus 2,24). paulus hat diesen jesus den galatern vor augen gemalt (galater 3,1), er wollte, dass sie den gekreuzigten jesus vor ihrem inneren auge sehen konnten. warum?

weil irgendwann, wenn wir lange genug auf den gekreuzigten jesus gestarrt haben, eine leise frage in uns immer lauter werden wird: „wenn er schon meinen schmerz, meine krankheit, meine schuld und meinen fluch (galater 3,13) getragen hat, warum sollte ich es dann auch noch tragen?“. für viele von uns wird das der moment der befreiung sein, wenn wir das, was uns belastet und was wir durch das leben schleppen am kreuz von golgatha hängen sehen.

ich hatte eine kleine vision dazu. leider kann ich es nicht umsetzen, weil ich kein künstler bin. ich habe vor meinem inneren auge eine kapelle gesehen, die ein wenig aussah, wie ein pharaonengrab im tal der könige. es waren mehrere räume, die durch einen langen flur verbunden waren. in den räumen waren installationen von kreuzen.
in einem raum stand ein kreuz mit einem jesus, der sehr krank aussah. er hing am kreuz und war sehr dünn, mit beulen und tumoren und allerlei fiesen ausschlägen usw. wenn man den raum betrat wusste man, jesus hat die krankheiten der welt auf sich genommen. es gab farbe, zettel, stifte und medizinbücher in dem raum. so konnte man seine eigene krankheit an den körper jesus malen, oder auf einen zettel schreiben und an ihn heften oder aus einem der fachbücher ausschneiden und an ihn hängen. später konnte man aus dank eine räucherkerze vor dem kreuz anzünden.
mit der zeit konnte man jesus nicht mehr erkennen. er war zumüllt mit allen möglichen krankheiten. die botschaft war klar: jeder kann seine krankheit an ihm finden.

im nächsten raum war ein jesus, der alle schmerzen der vergangenheit auf sich genommen hat. hier hiessen die schlagwörter „missbrauch“, „angst“, „einsamkeit“ usw. wieder konnte man seine persönliche geschichte an jesus finden oder an ihm anbringen.

im nächsten raum hing ein sehr armer jesus.

im letzten raum hing ein jesus, der alle sünde der welt auf sich genommen hatte und die brücke zu gott bildete. es war ein jesus, der sagte: „ich bin der weg, die wahrheit und das leben. niemand kommt zum vater denn durch mich.“ wieder konnte jeder alles, was er je an sünde getan hat an jesus sehen. auf den wänden standen sünden mit verlaufender farbe und der ganze raum war in unheimliches licht getaucht. es war sehr flackern und es gab (anders als in den anderen räumen) unheimliche geräusche.

danach war nur noch ein raum. er bildete den abschluss und einen lebhaften kontrast zum schreckenskabinett der anderen räume. dieser raum war weiss. in der mitte stand ein leeres kreuz. alles fühlte sich frisch und sauber und nach neuem leben an. dieser raum war die erlösung. die freiheit von allem, was wir am kreuz gelassen haben.

vielleicht würde eine solche installation menschen helfen, das kreuz und die erlösung zu verstehen. oft machen wir uns keine vorstellung davon, was wirklich gegangen ist damals vor zweitausend jahren. unsere gemeinden haben keine kirchenfenster mehr, nur noch das gesprochene wort. früher konnten die gläubigen über den fenstern ihrer gotteshäuser meditieren und die tatsachen der heilsgeschichte visualisieren. die bilder, die in unseren herzen entstehen kommen zum grossen teil aus hollywood und haben kaum kraft uns zu dem zu machen, was jesus in uns sieht.
es wäre schön, mehr visuelles in unsere gottesdienste und meditaionszeiten zu kriegen!

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bild von: http://www.wirwellener.de/kibauwll/bilder/kruzifix.jpg
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[neu gepostet im September 2006 auf Hasos Tafel: 1|2]

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2 Kommentare

  1. Ich höre gerade ein wirklich sehr geile Predigt von Kopfermann über das Kreuz in meinem Auto. Ich werde dass Gefühl nicht los, dass ich nur einen Bruchteil von dem tatächlich erfasst habe, was dieser Tod an diesem Kreuz wirklich bedeutet. Ich höre sie immer wieder, immer wieder, und mit jedem mal hören, klingelt es ein wenig mehr in mir. Aber vermutlich werde ich noch mal 4o Jahre brauchen, und dann immer noch da stehen und fragend Jesus ansehen. „Das hast du wirklich für mich getan? Warum? Wäre es nicht auch anders gegangen? Womit hab ich das verdient?“

  2. die kassette würde mich auch interessieren. kannts du mir die mal kopieren?

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